Vormoderne


Der Klosterbereich galt im Christentum metaphorisch als Paradiesgarten, als sicherer Hafen des Heils, als Werkstatt der Weltverachtung, kurz als Vorwegnahme des Himmels auf Erden. Es war ein durch materielle und symbolische Mauern komplett von der Welt abgetrennter Raum. Die Mönche und Nonnen befanden sich auf dem Weg zu Gott. Die Rituale anlässlich eines Klostereintritts machten deutlich, dass ein kompletter Abschied von allem Weltlichen vollzogen wurde und ein neues Leben in Armut, Keuschheit und Gehorsam begann. In einem idealen Kloster gab es keine Kontakte zur Welt. Doch in der Praxis existierten vielfältige Verbindungen durch Schenkungen, Stiftungen und im wirtschaftlichen Bereich. Die Armenfürsorge, Krankenpflege und Beherbergung von Pilgern konnte Kontakte nach „draußen“ herstellen. Zudem blieben viele Familien von Mönchen und Nonnen ihren Kindern auch nach dem Klostereintritt verbunden. Klöster waren große Wirtschaftsunternehmen, sie beschäftigten Verwalter und anderes Personal, um die Einnahmen und Ausgaben zu überprüfen.

Besonders in den Städten gab es seit dem späten Mittelalter enge institutionelle und personelle Verbindungen zwischen den verschiedenen Bereichen, waren Räume nicht fest als sakral oder profan definiert. Zudem gab es außer Klöstern noch andere Formen des geistlichen Lebens. Wir finden viele Einrichtungen, die nicht so abgeschottet waren, wie es das alte monastische Ideal vorsah: Die Häuser der Bettelorden etwa wurden von vielen Menschen aufgesucht, um dort die Predigt zu hören. Es gab Lebensformen und Institutionen, die geistliche und weltliche Elemente in sich vereinten, so etwa die Hospitäler, die Krankenhäuser des Mittelalters. Man denke aber auch an die sogenannten Beginen, fromme Frauen, die ein gottgefälliges Leben außerhalb eines Klosters führen wollten und in ihren eigenen Häusern wohnen blieben oder an die Häuser der Ritterorden. Sakral und profan können sich überlagern, changieren, müssen nicht fest an Räume gebunden sein, wie das Beispiel der Synagoge im Judentum auch heute noch sehr anschaulich zeigt. Die Synagoge ist ein Raum, der an sich keine Heiligkeit besitzt, aber die Handlungen der Gemeinde stellen eine situationsbezogenen vorübergehende Sakralität her, die an die Versammlung der Gläubigen gebunden ist.

In Mainz gab es im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit eine beeindruckende Anzahl an geistlichen Gemeinschaften. Die Klöster und Stifte bildeten kleine Inseln inmitten der Stadt. Sie formten eigene Räume, die nicht nur geistlich bestimmt waren, sondern auch rechtlich. Für Geistliche galt eine eigene Rechtsprechung und sie waren auch oft von der Zahlung städtischer Steuern befreit. Diese eigenen Rechtsbereiche nennt man Immunitäten, sie waren in der mittelalterlichen Stadt durch Mauern vom übrigen Stadtbereich abgetrennt.

Auf andere Weise vom Stadtraum abgetrennt waren die Juden, sie hatten sich nicht freiwillig für diese Separation entschieden. Sie wurden in Mainz in der Frühen Neuzeit zwangsweise in ein Ghetto eingewiesen, in dem sich auch die Hauptsynagoge befand. Das Judenviertel erhielt mit der Judenpforte auch eine baulich klar markierte Abgrenzung.



Wandel in der Moderne


Den entscheidendsten Einschnitt für die christlichen Gemeinschaften in Mainz stellte sicher die Säkularisation dar. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde ihr Besitz eingezogen und viele Konvente lösten sich auf oder starben aus. Aber was bedeutet das für die Räume, die mit diesen Gemeinschaften verbunden waren? Im 19. Jahrhundert wandelte sich der Stadtraum grundlegend. Der enge mittelalterliche Rahmen wurde gesprengt. Mit dem Bau der Mainzer Neustadt griff die Stadt erstmals über die Grenzen der mittelalterlichen Stadtmauer hinaus. Mit der Emanzipation des jüdischen Bürgertums ging ein neues Selbstbewusstsein einher, das sich auch in räumlichen Veränderungen und in Neubauten manifestierte.

Mache geistliche Einrichtungen blieben bestehen oder zumindest ihre Gebäude blieben erhalten, der Dom und die Stiftskirchen von St. Stephan und St. Quintin sind prominente Beispiele. Aber viele Gebäude verschwanden. Von den zahlreichen Frauenklöstern in der Mainzer Innenstadt ist auf den ersten Blick kaum mehr etwas zu sehen. Neben dem Abriß war auch die Neunutzung verbreitet, etwa als Schule, Irrenhaus, Lazarett oder auch Munitionslager. Die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges brachten die grundlegendsten Veränderungen des Stadtraums mit sich, alte Straßenverläufe sind heute oft nicht mehr nachvollziehbar. Dennoch sind die verschwundenen Gemeinschaften weiterhin im Stadtbild präsent. Sie haben eine neue Gestalt angekommen und viele Menschen treten täglich in Kontakt mit ihnen. Wir haben uns im Rahmen von „zeit.fenster. Vergangenheit hat Zukunft“ sieben spannende Beispiele ausgesucht: vom ältesten Kloster in Mainz über das alte Judenviertel bis zu unserem heutigen Landtag. Alle Beiträge wurden von Studentinnen und Studenten der Johannes Gutenberg-Universität verfasst. Als Historiker haben wir den Auftrag zu erinnern und Fragen an die Vergangenheit zu stellen. Machen Sie sich mit uns auf die Suche nach den Antworten, denn man sieht nur, was man weiß. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen und eine anregende Lektüre.