Geschichte und Struktur des Ritterordens

Der Deutsche Orden wurde im Jahr 1190 zur Zeit der Kreuzzüge gegründet. Genau wie der Templer- und Johanniterorden sollte er dem Schutz der Pilger auf der Reise ins Heilige Land dienen und für christliche Eroberungen innerhalb des Heiligen Landes kämpfen. Bald breitete er sich in ganz Europa aus und war im späten Mittelalter eine bedeutende Macht. Dem Orden stand ein Hochmeister voran, welcher oft auch hohe geistliche Ämter, wie etwa das Amt eines Erzbischofs bekleidete. In vielen europäischen Städten wurden so genannte Kommenden errichtet, d.h. Niederlassungen, in welchen die Brüder lebten. Die Kommenden waren zentrale Verwaltungseinheiten des Ordens und standen unter Aufsicht eines Komturs. In diesen fanden durchreisende Angehörige des Ordens eine Raststätte, die Güter wurden bewirtschaftet und Arme durch Almosen versorgt. Der Orden wurde im Mittelalter zuerst im heutigen Ungarn, dann in Polen und Baltikum mit Land beschenkt. Das neue Missionsziel wurde jetzt Nordosteuropa und die heidnischen Völker in dieser Region. Das Territorium dieses Ordens war größer als so manches Fürstentum oder Königreich in jener Zeit und aufgrund der durchorganisierten Ordensstruktur bestens verwaltet. Im 15. Jahrhundert erfolgte der Niedergang der Deutschritter, da die benachbarten Litauer und Polen erstarkten. 1525 trat der Ordensmeister Albrecht von Hohenzollern zum Lutheranismus über und säkularisierte den Ordensstaat. Der Deutsche Orden musste sich den neuen Gegebenheiten anpassen. Ursprünglich residierte der Hochmeister im Ordensland in Ostpreußen, doch nach der Reformation und dem Verlust des Landes wanderte der Residenzort. Die Funktion des Ordens blieb bestehen und in den langen Kriegen gegen die osmanischen Türken hatten die Deutschritter auch eine ständige Beschäftigung, doch die Bedeutung des Ordens sank seit dem Mittelalter zunehmend.



Ein Mainzer Hochmeister

Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg und das Mainzer Deutschhaus

Das Deutschhaus verdankt seine Entstehung dem glücklichen Zusammenfallen mehrerer Ämter in einer Person. Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg war zunächst Hochmeister des Deutschen Ordens, wurde im Jahre 1729 aber noch zusätzlich Erzbischof und Kurfürst von Mainz. Die Deutschritter hatten bereits ein Ordenshaus in Mainz (heute zerstört), doch kam dieses als Residenz für den Kurfürsten nicht in Frage. In der Nähe des alten Ordenshauses wurde der neue Wohnort parallel zum Kurfürstlichen Schloss gebaut. Franz Ludwig bewohnte das neue Ordenshaus allerdings nie, da er nur einige Monate nach dem Richtfest im Jahre 1732 überraschend in Breslau starb. Das Haus wurde unter der Herrschaft des neuen Kurfürsten Philipp Carl zu Eltz vollendet. Da dieser nicht mehr das Amt des Hochmeisters innehatte, bewohnte er das Deutschhaus nie und lebte stattdessen im Kurfürstenschloss. Somit wurde das Gebäude auch nie in der geplanten Funktion, nämlich als Residenz für den Hochmeister des Deutschen Ordens genutzt. Die Residenz, welche die Macht des Ordens als ebenbürtig neben der Würde des Kurfürsten zeigen sollte, hatte in ihrer langen Geschichte aber noch viele illustre Bewohner und Nutzer.



Der Bau des Deutschhauses

Ein Unfall verhilft zur Kenntnis des historischen Ablaufs

Der Ablauf der Bauarbeiten ist relativ gut bekannt und zwar dank eines Unfalls: Ein Kellergewölbe stürzte ein, was viele Bauberichte nach sich zog, die für Historiker wertvolle Quellen darstellen. Hätte es den Unfall nie gegeben, so wäre unser Wissen über den Bau viel geringer. Es sind oft solche Zufälle, welche darüber entscheiden, ob Historiker die Vergangenheit entschlüsseln können oder nicht. Zunächst wurde der junge Architekt Anselm Franz Freiherr von Ritter zu Groenestein zum Oberbaudirektor des Projekts. Er hatte längere Zeit in Paris zugebracht und wurde von der französischen Barockkunst beeinflusst. Die Wahl war recht überraschend, da es näher lag, bewährte Architekten wie etwa den Deutschordensbaumeister Franz Joseph Roth aus Bad Mergentheim oder den lokalen, vom Rang her höheren Mainzer Oberbaudirektor Maximilian von Welsch für den Auftrag zu verpflichten. Nach dem Tod des Kurfürsten Franz Ludwig übernahm dann aber der Orden unter Franz Joseph Roth die Bauleitung. Mit dem neuen Kurfürsten Philipp Carl kam es gelegentlich zu Streitigkeiten, da der neue Prunkbau das angrenzende Schlossgebäude in den Schatten zu stellen drohte. Auch mit der Mainzer Hofkammer hatte der Orden Differenzen. Berichte und Briefe zeigen, dass oft Holzlieferungen und die Stellung von Fuhrwerk verweigert wurden. Dennoch verlief der Bau insgesamt sehr harmonisch, da ihm der neue Kurfürst günstig gegenüberstand. Zwischen 1736 und 1739 entstanden die beiden Nebenbauten und 1740 wurde der Hauptbau vollendet. Der barocke Innenraum und die Außenfassade wurden von zahlreichen Künstlern verziert. Besondere Hervorhebung verdienen der berühmte Freskenmaler Christoph Thomas Scheffler aus Augsburg, die Stuckatorenfamilie Castelli aus Würzburg sowie der Bildhauer Burkhard Zamels.



Wo bleibt im Ordenshaus die Kirche?

Repräsentation steht an erster Stelle

Es ist Historikern oft nicht möglich, die genaue Motivation hinter einer Handlung zu rekonstruieren, sofern diese nicht in Quellen niedergeschrieben ist. Durch die Kenntnis von Beziehungen zwischen Personen und Institutionen lassen sich aber oft solche Handlungen interpretieren. Historiker müssen häufig verschiedene, manchmal scheinbar unverknüpfte Faktoren miteinander in Verbindung bringen, um an die Lösung eines Rätsels zu kommen. Die Kenntnis neuer Fakten wirft oft ein ganz neues Licht auf ungelöste Fragen der Geschichte. Bei dem Deutschhaus fällt auf, dass die Ordenskapelle in einen Nebenbau abgeschoben ist. Es war seit dem Mittelalter eher üblich, dass die Kirchen die anderen Gebäude überragten, was die Wichtigkeit des Gotteshauses symbolisch herausstellen sollte. Auch der Orden unterstrich seine geistliche Rolle durch repräsentative Kirchenbauten. Im Falle des Deutschhauses in Mainz jedoch spielten andere Faktoren eine Rolle. Statt der Heidenmission und der Kreuzzüge bestimmten nun zunehmend politische Fragen das Denken der Ordensführung. Der neue Bau sollte die Macht des Ordens und des Hochmeisters zeigen. Dies war möglicherweise von der Politik dieser Jahre bestimmt: Das ehemalige Ordensland im heutigen Nordpolen wurde nach der Säkularisation des Ordens zum weltlichen Herzogtum Preußen. Obwohl der Orden seine Ansprüche auf das Land nicht mehr durchsetzen konnte, gab er sie nie auf. Zur Regierungszeit Franz Ludwigs wurde das Herzogtum 1701 zum Königreich, was den Anspruch des Ordens noch weiter untergrub. Um seine immer noch beachtliche Macht im 18. Jahrhundert zu demonstrieren, unterstütze der Deutschorden die Kunst und ließ Prachtbauten errichten, so wie es etwa auch der Sonnenkönig Ludwig XIV. in Frankreich tat.

Des Effektes wegen wurde eine stilistisch nicht passende mittelalterliche Kirche abgerissen und ihr Schutt zur Einebnung des neuen Hofes zwischen dem Hauptgebäude und den Pavillons benutzt. Die Ordenskapelle sollte eher dem Hochmeister und seinem Haushalt als private Kirche dienen, als eine nach außen offene Kirche mit öffentlichen Gottesdiensten.



Das Sakrale im Profanen

Gebete für die Demokratie

Die Funktion als Ordenssitz verlor das Deutschhaus im Zuge der Mainzer Republik. Nachdem die Franzosen am 21. Oktober 1792 die Stadt Mainz besetzten, eröffneten sie den Bürgern die Aussicht auf eine uneingeschränkte Selbstbestimmung. Besonders die radikalen Jakobiner wurden von den Franzosen, welche zu der Zeit ihr Hauptquartier im Deutschhaus hatten, tatkräftig unterstützt. Entgegen ihrer Erwartungen begeisterten sich aber nur relativ wenige Mainzer für die radikalen Revolutionsideen und entschlossen sich demokratisch eher für konservativ-gemäßigte Positionen. Am 14. Dezember 1792 hob die französische Administration unter General Adam-Philippe de Custine das Selbstbestimmungsrecht wieder auf und die Demokratie nach französischem Muster wurde zwangseingeführt. Bis zum 24. Februar hatten die Mainzer Abgeordneten für einen aufkommenden Nationalkonvent, den ersten auf deutschem Boden, zu wählen. Zunächst war es noch unsicher, wo dieser überhaupt stattfinden sollte. Nach langen Debatten wurde das Deutschhaus 1793 zum Tagungsort des Rheinisch-Deutschen Nationalkonvents ernannt, einen Tag vor Beginn des Konvents. Interessant ist hierbei die Verknüpfung von Altem und Neuem: Die Mainzer Bürger weigerten sich, das Parlament zu eröffnen ohne vorher um gutes Gelingen zu beten. Noch vor dem Konvent betonten die radikalen Mainzer Jakobiner, dass der Konvent kein „Pfaffenkonzil“ sei und dass es nicht in einer Kirche eröffnet werden solle. Kommissare aus Paris hielten jedoch diese Geste den traditionsverbundenen Bürgern gegenüber für klug und so gingen am 17. März 1793 die 65 Abgeordneten zunächst in die Peterskirche zum Gottesdienst. Es wurde für Volk und Revolution gebetet und die Fürbitte wurde ganz traditionell mit einem Te Deum und Veni Creator Spiritus geschlossen. Am Konvent selbst nahmen fünf lutherische und fünf katholische Geistliche als Abgeordnete teil. Es ist sehr selten, dass neue Entwicklungen komplett losgelöst von den alten Zuständen entstehen. Anders als es manche Schulbücher suggerieren, gibt es keine abrupten Sprünge zwischen Geschichtsepochen. Historiker forschen auch danach, wie das Alte im Neuen bestehen bleibt, die Tradition im Fortschritt, das Sakrale im Profanen.